Hasselblad X2D II 100C: Die Mittelformatkamera hat endlich den Sprung ins moderne Zeitalter geschafft

Von Roland Golla
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Surrealistische Darstellung einer schmelzenden Mittelformatkamera im Dalí-Stil

Hasselblad hat mit der X2D II 100C bewiesen, dass sie zuhören können. Nach Jahren der Kritik an fehlenden Features und träger Performance liefert die neue Generation endlich das ab, was Fotografen von einer 7.200 Euro teuren Kamera erwarten dürfen. Das Bemerkenswerte: Trotz massiver Verbesserungen ist sie 800 Euro günstiger als ihr Vorgänger bei Markteinführung.

Die technischen Highlights ohne Umschweife

Der 100-Megapixel BSI CMOS Sensor (44 x 33mm) wurde überarbeitet und liefert jetzt 15,3 Blendenstufen Dynamikumfang – mehr schafft aktuell keine andere Kamera. Die native ISO startet bei 50 (vorher 64), was für noch sauberere Bilder sorgt. Mit 16 Bit Farbtiefe pro Kanal habt ihr 281 Billionen Farben zur Verfügung. Das sind keine Marketing-Zahlen, sondern spürbare Vorteile bei der Nachbearbeitung.

Die Bildstabilisierung ist mit bis zu 10 Blendenstufen Kompensation Weltrekord. Hasselblad verspricht mehrere Sekunden Belichtung aus der Hand – bei 100 Megapixeln eine beeindruckende Leistung. Zum Vergleich: Fujifilms GFX100 II schafft 8 Stufen, Canon maximal 8,5.

Endlich kontinuierlicher Autofokus – es wurde Zeit

Die größte Schwäche aller bisherigen X-System-Kameras war der Autofokus. Nur Single-AF, träge und unzuverlässig. Die X2D II 100C bringt endlich AF-C mit 425 Phasenerkennungsfeldern (vorher 294). Unterstützt wird das System durch LiDAR-Sensoren an der Front und ein AF-Hilfslicht.

Die Objekterkennung für Menschen, Tiere und Fahrzeuge funktioniert, auch wenn sie nicht an die Geschwindigkeit moderner Vollformatkameras herankommt. Für Mittelformat ist das dennoch ein Quantensprung. Wichtig: Sieben XCD-Objektive unterstützen AF-C nach Firmware-Update, darunter das neue 35-100mm Zoom.

HDR direkt aus der Kamera – mit Einschränkungen

Als erste Mittelformatkamera überhaupt bietet die X2D II 100C einen kompletten HDR-Workflow. Die Kamera erzeugt Ultra HDR JPEGs und HDR HEIF-Dateien, die auf kompatiblen Displays erweiterte Helligkeitsbereiche darstellen.

Das 3,6 Zoll OLED-Display wurde auf 1.400 nits Helligkeit aufgerüstet (vorher 800 nits) und zeigt HDR-Bilder direkt an. Gleiches gilt für den elektronischen Sucher mit 5,76 Millionen Bildpunkten.

Die Einschränkung: HDR funktioniert nicht in allen Modi. Bei Bracketing oder mit elektronischem Verschluss ist Schluss. Und ohne HDR-fähige Displays seht ihr keinen Unterschied zu normalen Bildern.

Ergonomie: Der Joystick macht den Unterschied

Ein simpler 5-Wege-Joystick – aber was für ein Game-Changer. Endlich könnt ihr den AF-Punkt verschieben, ohne ständig auf den Touchscreen tippen zu müssen. Dazu kommen acht programmierbare Tasten, ein verbesserter Griff mit neuer Textur und ein Display, das sich 90 Grad nach oben und 43 Grad nach unten neigen lässt.

Das Gewicht sank auf 730 Gramm (ohne Objektiv), etwa 7,5% weniger als beim Vorgänger. Die graue Mattlackierung soll robuster sein als die bisherige Oberfläche.

Das neue XCD 35-100mm f/2,8-4 E Zoom

Parallel zur Kamera kam das erste echte Standard-Zoom für das X-System. Mit umgerechnet 28-76mm Kleinbild deckt es den wichtigsten Brennweitenbereich ab. Die durchgehende Lichtstärke von f/2,8 (nur am kurzen Ende, dann f/4) ist für Mittelformat beachtlich.

Mit 16 Elementen in 13 Gruppen, davon drei asphärische und fünf ED-Gläser, verspricht Hasselblad randscharfe Abbildung. Das Gewicht von 894 Gramm ist angesichts der Leistung vertretbar. Der eingebaute Zentralverschluss synchronisiert Blitze bis 1/4000 Sekunde – ein enormer Vorteil gegenüber Schlitzverschluss-Systemen.

Speicher und Performance

Die eingebaute 1TB SSD bleibt ein Alleinstellungsmerkmal. Mit 2.370 MB/s Schreibgeschwindigkeit und 2.850 MB/s beim Lesen ist sie schneller als die meisten CFexpress-Karten. Zusätzlich gibt es einen CFexpress Type B Slot für Backup oder Overflow.

Serienbilder nimmt die X2D II mit drei Bildern pro Sekunde auf – nicht spektakulär, aber für Mittelformat respektabel. Die 16-Bit RAW-Dateien haben etwa 200 MB pro Bild.

Preis und Verfügbarkeit

Mit 7.200 Euro (in Deutschland 7.399 Euro) ist die X2D II 100C günstiger als ihr Vorgänger (8.199 Euro bei Launch). Das XCD 35-100mm Zoom kostet 4.800 Euro. Zum Vergleich: Die Fujifilm GFX 100 II liegt bei 8.299 Euro, bietet aber Videofunktionen, die Hasselblad komplett weglässt.

Die neuen Filter für 86mm-Gewinde: UV (260 Euro), ND8 (290 Euro) und CPL (470 Euro). Der Vandra Rucksack mit 20 Litern Fassungsvermögen kostet 430 Euro.

Was fehlt?

Video. Komplett. Nicht mal 1080p. Hasselblad argumentiert, ihre Zielgruppe brauche das nicht. Bei dem Preis eine mutige Entscheidung. Die Messmodi beschränken sich auf Center und Spot – keine Mehrfeld- oder Matrixmessung. Das führt in kontrastreichen Situationen zu Fehlbelichtungen.

Der AF-C funktioniert nur mit mechanischem Verschluss. Mit elektronischem Verschluss (für lautloses Arbeiten) bleibt nur Single-AF. Die proprietären Gurt-Clips nerven. Verliert ihr einen, könnt ihr keinen Gurt befestigen, bis Ersatz da ist.

Für wen ist diese Kamera?

Die X2D II 100C richtet sich an Fotografen, die maximale Bildqualität ohne Kompromisse suchen. Portrait-, Landschafts- und Studiofotografen, die Zeit für ihre Aufnahmen haben und jeden Parameter kontrollieren wollen.

Sie ist keine Kamera für Hochzeiten, Sport oder Wildlife. Dafür ist sie zu langsam. Aber wenn ihr wisst, was ihr tut, und die beste verfügbare Bildqualität wollt, führt kaum ein Weg an Hasselblad vorbei.

Fazit

Die X2D II 100C ist die beste Hasselblad seit Jahren. Sie behebt die größten Schwächen der Vorgänger, ohne die Stärken zu opfern. Die Bildqualität ist spektakulär, die Farbwiedergabe durch Hasselblads Natural Colour Solution unerreicht.

Ja, sie ist teuer. Ja, sie ist langsam. Ja, sie kann kein Video. Aber sie zwingt euch, bewusster zu fotografieren. Jede Aufnahme wird durchdacht, jeder Parameter bewusst gewählt. In einer Welt der Smartphone-Schnappschüsse ist das fast schon meditativ.

Wer die nötigen Mittel hat und Fotografie als Handwerk versteht, bekommt mit der X2D II 100C ein Werkzeug, das in seiner Klasse konkurrenzlos dasteht. Nach 84 Jahren Kamerabau hat Hasselblad bewiesen, dass sie immer noch dazulernen können.

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